Kapitel

2. Spreu und Weizen

Die Zwillinge und Linda setzten sich um den Esstisch. Die beiden 18jährigen in ihrer dem Alter entsprechenden physischen Anwesenheit/ geistigen Abwesenheit, den Blick und die Finger am Handy klebend. Seine Frau dagegen schaute ihn mit ihrem vorwurfsvoll-frustrierten Blick an, den 20 Jahre unerfülltes Sexualleben und Bankkonto geformt hatten. Georg begann feierlich seine Ansprache: „Familie, wie ihr wisst, kommen außergewöhnliche Zeiten auf uns zu. CORONA- nicht Corola wird unser Leben verändern. Es ist nur noch eine Frage der Zeit bis die Menschen in den Straßen dahinsiechen, die Regierung den Ausnahmezustand ausruft und plündernde Banden durchs Land ziehen. Schließlich wird sogar das Pfandsystem zusammenbrechen, dann ist Deutschland verloren.“

Seine Frau verschränkte die Arme vor dem Oberkörper, ein untrügliches Zeichen, dass sie eine divergierende Meinung hatte und/ oder dass es später keinen Sex gab. „Wegen diesem besseren Grippe-Virus machst du dir ins Hemd?“, warf Max ein. „Unterbrich mich nicht!“, rief Georg eine Spur zu laut. Eigentlich wollte er sagen: NIEMAND UNTERBRICHT DEN CORONAMAN! Nun hatte er die ungeteilte Aufmerksamkeit seiner Familie.

„Macht euch keine Sorgen“, fuhr er beschwichtigend fort „Ich habe auf dem Rückweg vom Supermarkt einen Überlebensplan erstellt. In Phase 1 begeben wir uns in Quarantäne hier im Haus bis die Alten und Schwächen dahingerafft sind. Ich habe eben bei Amazon noch 10 Schutzmasken für 180 Euro erstanden, die müssen wir dann gut einteilen. Mit den Lebensmitteln im Haus können wir locker zwei Wochen über die Runden kommen. Danach steigen wir in Phase 2 bei den Rentnern in der Nachbarschaft ein – Rentner haben viel Eingemachtes und Medikamente. Außerdem können wir sie per Enkeltrick überlisten und notfalls leicht überwältigen.“
Lindas Augen wurden immer größer, während die Zwillinge sich ungläubig anschauten.

„In Phase 3 siedeln wir in den Schrebergarten über und werden Selbstversorger. Gelegentliche Raubzüge in umliegende Supermärkte und Privathäuser dienen zur Aufstockung der Vorräte. Wenn es hart auf hart kommt, und wir den Schrebergarten nicht verlassen können, brauchen wir eine Rangfolge. Eine klare Aufteilung, wen wir wann opfern und verspeisen, um nicht zu verhungern. Es ist mir nicht leicht gefallen, aber ich habe die Reihenfolge schon nach logischen Prinzipien ermittelt. Zuerst essen wir Mama - sie ist die am wenigsten produktive Einheit der Familie, besonders jetzt nach der Menopause. Danach kommt Max. Da er eine Erdnussallergie hat, sind seine Überlebenschancen langfristig eher als gering einzuschätzen. Dann komme ich – ihr seht also die Rangfolge wurde wie gesagt nach rein logischen Gesichtspunkten erstellt. So bliebe am Schluss Tom übrig, dessen junge und gesunde Gene überleben werden. So weit so klar?“

„Ich gehe zu meiner Schwester“, entgegnete Linda kopfschüttelnd, „jetzt bist du ja wohl völlig durchgedreht!“
„Aber Schatz, ich denke doch nur an die Familie…“
Schnellen Schrittes machte sich Linda auf den Weg zur Haustüre. „Die am wenigsten produktive Einheit? Du machst Pläne, wann wir wen verspeisen? Du gehörst in die Psychiatrie!“. Die Haustüre fiel ins Schloss. Betretenes Schweigen. Zum Glück hatte er an die Pralinen gedacht!

„Papa, wir können auch nicht mitmachen, heute Abend sind wir auf einer Hausparty. Wir sehen uns die Tage.“, teilte ihm Tom mit, während sich die Zwillinge aus dem Zimmer stahlen. Georg, der selbsternannte Corona-Man, war allein, aber er spürte das befreiende Gefühl auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen. Aber vielleicht musste er auch nur aufs Klo. Danach würde er noch ein paar Rezepte für Mehlspeisen runterladen. Corona konnte kommen – Challenge accepted.

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