Kapitel

4. Der erste Morgen

Georg, der Corona-Man, saß allein am Esstisch. Wobei, ganz alleine war er nicht – ein ordentlicher Kater hatte ihn seit dem Aufstehen begleitet. Ronny und er hatten in der Nacht noch Pläne für das politische System im post-coronalen Deutschland geschmiedet. Dazu hatten sie eifrig ihre Kehlen desinfiziert und eine besorgniserregende Schneise in den Alkohol-Vorrat geschlagen. Ronny schlief noch den Schlaf der Gerechten, und schnarchte den Schnarch der Rechten.

Beim politischen System waren sie sich nur bei ein paar Punkten einig geworden. Es würde auf eine patriarchalische Diktatur hinauslaufen, das war klar, ohne Platz für Minderheiten wie Grüne, Veganer und Menschen mit Liegefahrrad. Frauen würden grundsätzlich geduldet, aber sollten laut Ronny besser nicht am politischen Geschehen teilhaben. Trotz Diktatur sollte es Abstimmungen zu gewissen, ausgewählten Themen geben. Je nach der dann noch verfügbaren Technologie, könnte dies ähnlich wie bei Tinder ablaufen, links wischen Nein, rechts wischen Ja. Ob das Ergebnis dann umgesetzt werden sollte, oblag der allwissenden Führungsriege, welche sich aus Ronny und seinem Stellvertreter, dem Corona-Man, zusammensetzte. Darüber hinaus gab es aber schon erste Streitpunkte: Ronny wollte alle Nicht-Biodeutschen, die ihre Herkunft nicht bis zum Ost-Frankenreich nachweisen konnten, aus dem neuen Deutschland verweisen. Der Corona-Man plädierte dafür, die Menschen lieber nach Fähigkeiten und Sympathiepunkten einzuteilen. Außerdem war ihm die Liste der Verbrechen, die mit der Todesstrafe geahndet werden sollten, entschieden zu lange. Herstellung und Vertrieb alkoholfreien Biers, Hören von Hip-Hop, Tragen von Sackhosen und Anbau und Verzehr von Quinoa waren nur ein paar der Dinge, die Ronny aufgezählt hatte. Auch Menschen, die ihren Mund offenließen (außer beim Sprechen), wollte Ronny sofort liquidieren, da „das einfach total dämlich aussieht – das macht mich stinkwütend.“ Georg hatte sich nicht getraut offen zu wiedersprechen. Außerdem hatten sie ja noch ein paar Wochen Zeit. Sollten alle Stricke reißen, würde er Ronny einfach ein bisschen Corona-Viren ins Bier mischen. Was wäre das für ein bittere Ironie, an einem Corona-Bier zu sterben, dachte der Corona-Man. Eigentlich was fürs Witzebuch. Er hoffte aber, es würde nicht soweit kommen müssen.

In den Nachrichten wurde die Lage immer noch fahrlässig (oder vorsätzlich?) verharmlost, als würde es sich hier um eine besser Grippe handeln. Dabei verbreitete schon der Name Angst. Grippe war ein grundsolider deutscher Begriff, und hatte nicht schon der kleine Jesus das Licht der Welt in einer Grippe erblickt? Corona dagegen, ein fremdartiges Wort, wahrscheinlich Latein, versprühte schon beim Lesen Angst und Schrecken. Ihn schauderte beim Lesen der Artikel im Internet. Die Zahlen schnellten weltweit in die Höhe, fast 100.000 Infizierte in China, das war ja schon das halbe Land… Seiner Meinung nach musste man den Feind verstehen, um ihn zu bekämpfen oder wie in diesem Fall zu überleben. Was wollte Corona, wo kam es her, wo wollte es hin? Also galt es sich einzulesen in die Materie, auch wenn es anstrengend war. Er musste verstehen, was diese Tierchen von uns wollten, wie sie tickten. Er begann bei Wikipedia, um sich den Artikel über Viren durchzulesen.

„Was gibt’s zum Frühstück?“, grummelte Ronny plötzlich aus dem Off und beendete die ambitionierte Grundlagenforschung jäh. „Wir haben noch Brot da, Wurst und Käse sind im Kühlschrank, du kannst...“.
„HEY, hey, hey!“, unterbrach ihn Ronny mit drohendem Zeigefinger, „ich dachte wir hätten geklärt, wer hier der oberste Steuermann ist und wer der Stellvertreter? Wir können nicht früh genug anfangen uns auf die zukünftigen Rollen vorzubereiten. Und eine funktionierend Hierarchie ist das A und O! Also…“. Ein paar Momente war es still. Hatte Ronny die R in seiner Rede mit Absicht stark gerollt oder bildete Georg sich das nur ein? „Also?“, fragte der Corona-Man. „Also mach jetzt Frühstück. Eier und Speck wären gut. Und Bier.“ , entgegnete Ronny in scheidendem Tonfall, der keine Widerrede duldete. Er hatte nun definitiv den Führer-Zungenschlag angenommen. Naja, dacht der Corona-Man, immerhin ist er ja mein Gast. Außerdem ist er ein cooler Typ, da kann man schon mal Frühstück machen, versuchte er sich selbst zu überzeugen.

Schweigend ging er in die Küche und schaltete die Herdplatte an. Dass Wasser für die Eier begann langsam zu köcheln.

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