Kapitel

5. Draußen vor der Tür

Schweigend nahmen sie ihr Frühstück zu sich, wobei Ronny die Eier und den Speck komplett für sich alleine in Anspruch nahm. Georg kaute lustlos auf einem trockenen Brot und sorgte sich um seine Ernährungspyramide im zukünftigen Neu-Deutschland. In den Nachrichten wurde gemeldet, dass die Fall-Zahlen in Italien stark zunahmen, aber Deutschland war „gut gewappnet“. Ronny lachte verächtlich und der Corona-Man schaute neidisch auf das letzte Stück Speck auf Ronnys Teller – noch nie hatte er sich einem Hund so ähnlich gefühlt.

Es klingelte. Jäh hatte sich die Außenwelt zurück gemeldet und die Prioritäten klargestellt. Beide funktionierten sofort wieder wie ein eingespieltes Team. Der Corona-Man schlich zum Tür-Spion während Ronny seine Kleinkaliber-Pistole durchlud. „Plünderer?“, zischte Ronny. „Ich kann es nicht genau erkennen. Sieht aus wie jemand in einem gelben Schutzanzug“, flüsterte der Corona-Man. Es klingelte noch mal. „Was sollen wir tun?“

„Ihr Paket ist hier“, unterbrach sie die Stimme aus der Außenwelt. „Stell das Paket ab und dann verpiss dich!“, rief Ronny in Richtung Türe. „Ich brauch aber eine Unterschrift, du Arschloch!“, antwortete der Eindringling auf selbem Charme-Level. Ronny schnaufte wie ein brunftiger Eber und musste sich sichtlich beherrschen, um nicht aus der Sicherheit der Quarantäne zu stürmen. „Letzte Chance!“, schrie er heiser wie bei der letzten Ansprache im Führerbunker, „leg das Scheiss-Paket ab und dann verpiss dich, sonst geb ich dir eine Unterschrift! Und zwar mit meiner Walther!“. Der Paketbote war offensichtlich kein Waffenkenner und hatte den Vermerk auf das Handfeuerwaffen-Fabrikat nicht ganz verstanden: „Ist mir doch egal ob du Walter heißt oder Hans, ich brauche deine bekackte Unterschrift!“. „Walther ist meine Pistole!“, schrie Ronny aus Leibeskräften. „Was? Warum willst du mit deiner Pistole unterschreiben?“, fragte der Paketbote ehrlich überrascht. „Das war eine Drohung!“, schrie Ronny, während die Adern auf seinem Hals scheinbar seinen Körper verlassen wollten. „Und witzig war das auch!“, merkte der Georg pflichtschuldig an. Danach war es ruhig, doch der Corona-Man konnte den Mann noch durch den Türspion sehen. Was folgte war ein leicht plätscherndes Geräusch, wie von einem kleinen Rinnsal. „Was ist das?“, keuchte Ronny. „Es ist sicher kein Gebirgsbach vor der Tür entsprungen“ , antwortete der Corona-Man, „der Assi pinkelt volle Pulle auf das Paket.“

Nachdem der Paketbote weitergezogen war, entstand eine hitzige Debatte darüber, wie sie mit dem Paket verfahren sollten. Georg ging davon aus, dass es sich um die Atemschutz-Masken handelte, die er gestern bei Amazon bestellt hatte – Prime sei Dank. Also galt es den Inhalt zu retten, ohne Viren ins Haus zu schleppen. Ronny war grundsätzlich der Meinung, dass Urin steril sei. Er war ein Anhänger diverser alternativer Heilmethoden, viele davon neogermanisch. Darüber hinaus war er auch ein großer Fan der Eigenurintherapie, und hatte normalerweise immer einen Thermobecher voll des warmen Heiltrunks dabei. Doch diese Situation stellte Ronny und seine Weltanschauung vor ein großes Dilemma. Insbesondere schien der Paketbote kein 100%-er Biodeutscher gewesen zu sein, weshalb sie sicherheitshalber annahmen, das Paket sei nun verunreinigt. Die diskutierten Pläne reichten von Desinfizieren mit 100% deutschem Urin (also ein zweites Bepinkeln des Pakets), Bestrahlung durch Handystrahlen für mehrere Tage oder Desinfizieren mit Feuer. Schließlich tendierten sie zur Alternative C, was wiederum einen schmerzlichen Verlust an Alkoholika bedeuten würde. Noch einmal diskutierten sie das für und wider – eine halbe Flasche Wodka oder Atemschutzmasken. Es waren solche Entscheidungen über Leben und Tod, die Menschen in Krisenzeiten zu fällen hatten. Dieses verfluchte Virus machte aus zivilisierten Menschen Monster!

Als der Abend anbrach und sie bei ein paar Bier sorgsam das Pro und Contra abgewägt hatten, wussten sie was zu tun war. Der Corona-Man ging in die Küche um ein paar Wodka-Orangensaft vorzubereiten, während Ronny das Paket mit seinem germanischen Urin vor der Haustüre gewissenhaft desinfizierte. Danach prosteten sie sich zu wie Soldaten nach einer erfolgreichen Schlacht. Es war die einzige richtige Entscheidung gewesen, auch wenn Frau Müller von gegenüber das anders sah.

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