Kapitel

1. Die Verwandlung

Eigentlich sollte er nur Paprikapulver (edelsüß) für den mediterranen Auflauf kaufen. Doch dann hörte er sie: Wo ist das Desinfektionsmittel? Leider schon aus. Gibt es noch Klopapier? Nur dreilagiges, aber wir werden morgen wieder bestückt.

Menschen mit Einkaufswägen voller Milchtüten schoben sich an ihm vorbei. Bei den Nudeln klaffte ein gähnendes Loch – nur die ekelhafte Vollkornvariante war noch zu haben.

Er versuchte seine Gedanken zu sammeln. Er war kein Freund von Nachrichten, aber in den letzten Tagen hatte er immer wieder etwas von diesem Virus gehört. Corola. Jetzt musste er handeln, die Krise war hier. Ronny hatte ihn noch gewarnt, aber er hatte ihn nicht für voll genommen. Doch nun ging er in den Angriffsmodus über, von Null auf 280. Direkt vom ersten in den sechsten Gang. Superturbo mit Lachgaseinspritzung.

Er packte zwei Doppelzentner Weißmehl ein, mehrer Kilo Butter (wegen dem Fett, dass ja so gut sein soll). Einen Karton Milch konnte er der auf Türkisch fluchenden Oma entreißen – in der Not ist sich jeder selbst der Nächste. Alle verbleibenden Klopapierrollen, dreilagig, packte er in einen zweiten Wagen, der unbeaufsichtigt im Gang stand. Unfassbar wie nachlässig manche Leute in Krisenzeiten handelten. Zwar blutete sein schwäbisches Herz beim Blick auf den Preis, aber dreilagiges Klopapier konnte man mit ein paar Handgriffen in einlagiges verwandeln. Außerdem würde es auf dem bald entstehenden Schwarzmarkt gute Preise erzielen. „Noch so ein Corona-Bekloppter!“ herrschte ihn ein Rentner an. Ah, Corona war der Name. Wir werden noch sehen, wer hier bekloppt ist, dachte er, wenn der alte Sack sich mit seiner Hand den Arsch abwischen muss.

Wasser, Konserven, Kartoffeln, Batterien, Kerzen, Zahnpasta, Schnaps – verdammt, die beiden Wagen reichten nicht mehr aus. Mühsam bugsierte er die beiden zentnerschweren Gefährte, je einen pro Hand, durch die Gänge. Seine Arme schmerzten schon, er spielte das Rocky-Lied in seinem Hirn auf voller Lautstärke zur Selbstmotivation. Er rammt ein paar Kinder aus dem Weg, aber dies war keine Zeit für Mitleid. Das Geheul der Gören und die Beschimpfungen der Eltern blendete er aus indem er die Musik in seinem Kopf noch lauter stellte. Gleichzeitig stopfte er noch ein paar Pralinen in die wenigen verbleibenden Lücken im vorderen Wagen. Damit würde er die Prostituierten bezahlen können – Frauen mögen nämlich Pralinen. Vielleicht würde er sich auch eine Sexsklavin fangen, aber das konnte noch ein paar Tage warten.

An der Kasse überlegte er kurz, ob er überhaupt noch bezahlen sollte oder ob die Zivilisation doch noch nicht komplett zusammengebrochen war. Dann zahlte er, schließlich würde das Geld bald eh nichts mehr wert sein und er wollte hier nicht unnötig aufgehalten werden. „Das macht 578,63 Euro“ sagte die hübsche Kassiererin. „Machen Sie tausend draus, aber machen Sie schnell.“ erwiderte er selbstsicher – die Bits und Bytes seines Kontos würden in einer post-coronalen Welt keine Bedeutung mehr haben. „Ich darf leider kein Trinkgeld annehmen“,  sagte die Dame an der Kasse gelangweilt. Er tippte die Geheimzahl ein, wünschte ein schnelles „Viel Glück!“, und bugsierte seine Beute zum Wagen. Mit quietschenden Reifen fuhr er vom Supermarkt-Parkplatz. Er war jetzt nicht mehr Georg aus dem Vertriebsinnendienst. Er war der Corona-Man.

Kaum fiel er zuhause in die Tür, rief seine Frau: „Hast du das Paprikapulver bekommen? Du warst ja ewig weg, wir sind schon am Verhungern!“
Gutes Stichwort, dachte er. „Hol die Kinder, lass die Rollläden runter, wir müssen reden, es geht los.“

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